Lernen die Welt zu verändern – die Chancen von interessengeleitetem Projektlernen

Schule im Aufbruch_FREI DAY

Seit Oktober 2020 ist die Schweizerhof Grundschule in Berlin eine von bundesweit zwölf Pilotschulen, die den FREI DAY eingeführt haben. Damit geben sie ihren Schüler*innen die Möglichkeit, außerhalb des bekannten schulischen Rahmens, mit Hilfe eigens gewählter Projekte, Verantwortung für sich, andere und die Welt zu übernehmen.

Es ist Donnerstagmorgen, 10 Uhr an einem Wintertag in Berlin. Leon steht warm angezogen mit seinem Anorak vor dem Haupteingang seiner Schule im Berliner Stadtteil Steglitz-Zehlendorf und wartet. Eine Woche vorher ist er mit vier weiteren Mitschülern zu seiner Schulleiterin gegangen und hat sie gebeten, einen Aufruf an die gesamte Schulgemeinschaft zu schicken:

Liebe Eltern, Lehrer*innen, Kinder und Schweizerhofer,

wir sind ein Team vom FREI DAY und wir beschäftigen uns mit dem Thema „Obdachlosigkeit“. Das gehört zum Nachhaltigkeitsziel 1 (keine Armut) und Ziel 10 (weniger Ungleichheiten).

Jetzt kommt der Winter und es wird kalt. Das ist für Menschen ohne Wohnung eine besonders schwierige Zeit. Deswegen möchten wir Sachen für die Obdachlosen in Zehlendorf sammeln.

Wir haben uns erkundigt, was gerade ganz besonders dringend gebraucht wird und wollen Sie bitten, uns zu helfen.

Wir benötigen:

    • Rucksäcke
    • Winterkleidung für Erwachsene
    • Schuhe für Erwachsene
    • Hygieneartikel (Zahnpasta, Duschzeug, Seife, Shampoo, Masken…)

Vielleicht können Sie mal nachschauen, ob Sie davon etwas in Ihren Schränken finden? Oder ob Sie beim nächsten Einkauf einfach mal eine Zahnpasta zusätzlich kaufen?

Wir befinden uns bis zu den Weihnachtsferien donnerstags in der Zeit von 10:00-12:00 Uhr vor der Schule und nehmen sehr gerne die Spenden entgegen.

Liebe Grüße

Hiescham, Leon, Zvezdan, Leonard und Jonathan (Klasse 6c)

Mit dem Einbruch des Winters sind Obdachlosigkeit und Armut ein großes Thema für die Sechstklässler geworden. Zwei ihrer Mitschülerinnen haben in den vergangenen Wochen bei der Essensausgabe in einer Kirche geholfen. Ein Mitschüler hat Essenspakete für obdachlose Menschen gepackt und diese verteilt. 

„Lernen die Welt zu verändern“ – so lautet das zentrale Ziel von Bildung in Education for Sustainable Development 2030, die neue Leitlinie der UNESCO. Neben Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen braucht es also vor allem Kompetenzen wie Handlungsmut und Vertrauen in Ungewissheit. Lernen die Welt zu verändern, ist mehr als nur Wissen – es geht dabei um Handlungsorientierung, um eigene Erfahrung, um Reflexion und Selbstwirksamkeitserfahrung. 

Um diese Erfahrungen zu machen, braucht es Schulen, die bereit sind, neue Wege einzuschlagen, ihre festen Strukturen aufbrechen und Freiräume schaffen. Denn in Freiräumen können junge Menschen lernen, verantwortungsvoll mit ihrer Zeit umzugehen, zu erkennen, wie sie sich selbst regulieren, strukturieren und im Team organisieren können. Kinder und Jugendliche erleben, dass ihr Handeln eine Wirkung hat – auf sie selbst, auf andere und auf die Welt.

Gruppe vin fünf rennenden Schülern

Diesem Freiraum hat Schule im Aufbruch mit dem FREI DAY ein konkretes Lernformat gegeben. Schüler*innen bekommen jede Woche mindestens vier Schulstunden am Stück, um eigene Projekte umzusetzen, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigen. Sie arbeiten jahrgangsübergreifend in Teams, vernetzen sich mit Expert*innen und setzen ihre Projekte in der Schule, Stadt oder Gemeinde um. Nach dem Motto „Global denken, lokal handeln“ leisten sie mit ihren Projekten einen Beitrag, um die Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit auf lokaler Ebene voranzutreiben. 

Das Besondere am FREI DAY ist, dass die Projekte nicht bewertet werden und somit die Erfahrung gemacht werden kann, dass man auch beim Scheitern wichtige Dinge lernt. Die Projekte sind zeitlich nicht begrenzt und können so von zwei Wochen bis zwei Jahre oder länger andauern.

An der Schweizerhof Grundschule (SHGS) in Berlin wird der FREI DAY bereits seit Anfang Oktober umgesetzt. Caroline Frey, Klassenlehrerin einer 6. Klasse, hat vor gut einem Jahr den Anstoß gegeben, den FREI DAY auch in ihrer Schule umzusetzen. Die SHGS ist eine von 12 Pilotschulen aller Schulformen, die im Verlauf der nächsten zwei Jahre durch Schule im Aufbruch enger bei der Umsetzung des FREI DAY begleitet und unterstützt werden. 

Sammlung von Büchern auf einem Tisch
Bücher als Inspiration bei der Themenfindung.

Schnell ist deutlich geworden, dass die Kinder viele eigene Ideen haben und Verantwortung übernehmen wollen. Nicht immer ist das so einfach. “Wir haben auch Kinder, denen es am Anfang sehr schwer gefallen ist, ihre Interessen zu erkennen. Schule hat ihnen abtrainiert, ihren eigenen Neigungen nachzugehen. Da dauert es manchmal ein paar Wochen, bis sie ein Thema für sich entdeckt haben”, so Caroline Frey.

Auch für die Kolleg*innen verändert sich ihre Rolle. So sind sie für ihre Schüler*innen im Rahmen der Projekte Prozessbegleiter*in oder Coach. Sie unterstützen die Schüler*innen in den Prozessen statt Inhalte zu vermitteln. Für viele Lehrer*innen ist das eine Herausforderung, die sich Carolines Meinung nach aber lohnt: “Die Kinder freuen sich schon die ganze Woche auf den FREI DAY und darauf, an ihren Projekten aktiv weiterzuarbeiten”.

Für jedes Projekt gibt es eine Box, in der alle Materialien dazu gesammelt werden.
Materialboxen für die verschiedenen Projekte.

Die Projekte sind sehr vielfältig. Mit einem großen Aquarium hat ein Team aus der 4. Klasse die Müllverschmutzung im Meer simuliert. Eine Rasenfläche vor der Schule wurde mit Blumen bepflanzt, im Frühjahr entsteht dort eine Bienenwiese. Dazu gibt es ein Bee n’ Bee – ein Insektenhotel. Auch über die Anschaffung von Schulbienen denkt eine Gruppe von Schüler*innen gerade nach. 

Sammlung von Spenden für obdachlose Menschen
Spendensammlung für obdachlose Menschen vor der Schule.

Um kurz nach 10 kommt der erste Vater einer Mitschülerin vorbei und übergibt Leon einen gut gefüllten Sack mit Kleidungsstücken. Er wird nicht die einzige bleiben. Im Laufe des Vormittags bringen Mütter, Väter und Lehrer*innen Kleidungsstücke vorbei. Der Lagerraum füllt sich, Leon und seine Mitstreiter sind begeistert. Am letzten Schultag vor den Ferien werden sie mit allen Spenden zur Ausgabestelle an der Kirche gehen und sie an die Bedürftigen verteilen. Sie haben erlebt, dass sie mit ihren eigenen Ideen die Welt verändern können. 

Mittlerweile haben sich rund 40 Schulen bundesweit auf den Weg gemacht, den FREI DAY umzusetzen. Ziel bis Ende des Schuljahres 25/26 sind 13.500 Schulen. Wenn du Interesse hast, den FREI DAY bei dir an der Schule einzuführen, dann schau doch mal auf der FREI DAY Seite von Schule im Aufbruch vorbei: https://frei-day.org. Dort findest du die Informationen, die du brauchst, um den FREI DAY auch an deine Schule zu bringen. 

Artikel von Tobias Feitkenhauer, Projektleiter FREI DAY, Initiative Schule im Aufbruch gGmbH.

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