Kindeswohlgefährdung – Tipps für Lehrkräfte [mit Checkliste]

Kindeswohlgefährdung – Tipps für Lehrkräfte [mit Checkliste]

Kindeswohlgefährdung kann in vielen Formen auftreten. Sie ist leider eine Realität, die viel zu oft nicht oder zu spät erkannt wird. Als Lehrkraft wirst du in deinem Berufsleben ziemlich wahrscheinlich auf SchülerInnen treffen, bei denen du vermutest, dass ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden gefährdet ist.

Daher möchten wir dir mit unserem Beitrag helfen, Kindeswohlgefährdungen bei SchülerInnen zu erkennen und richtig zu handeln.

Was ist Kindeswohlgefährdung?

Zunächst ist es wichtig, die offizielle Definition einer Kindeswohlgefährdung zu kennen und zu wissen, was sie alles umfasst.

Nach §1666 BGB spricht man von einer Kindeswohlgefährdung, wenn das Wohl eines Kindes

  • körperlich
  • geistig
  • oder seelisch

bedroht oder beeinträchtigt ist und die Erziehungsberechtigten nichts dagegen tun können oder wollen.

Gleichzeitig ist das Kindeswohl ein relativ abstraktes Gebilde, das nur individuell beurteilt werden kann. Mit der Zeit haben sich allerdings 5 Fallgruppen herausgebildet, die alle Bereiche der Kindeswohlgefährdung abdecken und zur Orientierung bei der Betrachtung eines Einzelfalls helfen.

1. Häusliche Gewalt (körperliche & psychische)

Jegliche Form von körperlicher oder psychischer Gewalt an einem Kind stellt eine Kindeswohlgefährdung dar. Auch regelmäßige körperliche Gewalt zwischen den Eltern fällt darunter.

Schon gewusst? Auch die weibliche Genitalbeschneidung (engl. FGM female genital mutilation) ist eine Form körperlicher Gewalt und stellt eine Kindeswohlgefährdung dar.

Von psychischer Gewalt spricht man, wenn ein Kind dauerhaft von den Erziehungsberechtigten herabgewürdigt wird – die Erscheinungsformen sind sehr vielfältig.

2. Sexueller Missbrauch (sexualisierte Gewalt)

Sexueller Missbrauch durch Erziehungsberechtigte oder andere Kontaktpersonen des Kindes ist in jedem Fall eine Kindeswohlgefährdung.

3. Verweigerung medizinisch notwendiger Behandlungen

Wenn Eltern sich weigern, an ihrem Kind medizinisch dringend notwendige Behandlungen durchführen zu lassen, stellt dies ebenfalls eine Gefährdung des Kindeswohls dar.

4. Erziehungsdefizite der Eltern

Wenn Eltern ihren Erziehungsaufgaben nicht nachkommen können – oder wollen – ist das Wohl eines Kindes ebenfalls gefährdet. Ein Beispiel wäre, wenn Erziehungsberechtigte z. B. schwer psychisch erkrankt sind oder Drogen konsumieren. Auch wenn Mütter oder Väter ein Kontaktverbot mit dem anderem Elternteil aussprechen, ist dies nicht erlaubt und kann als Kindeswohlgefährdung gelten.

5. Vernachlässigung

Unter einer Vernachlässigung versteht man die Weigerung oder Unfähigkeit, die notwendige Betreuung, Beaufsichtigung und Fürsorge für ein Kind zu übernehmen. Dies kann sich z. B. durch folgende Anzeichen bemerkbar machen:

  • Unterernährung
  • mangelnde Hygiene
  • fehlende Geborgenheit
  • ausbleibende Kommunikation

Wie du siehst, ist die Spanne der Kindeswohlgefährdung außerordentlich groß. Als Lehrkraft erhältst du teilweise – gewollt oder ungewollt – Einblicke in das Privatleben deiner SchülerInnen. Es hilft dabei, wenn du für typische Anzeichen von Kindeswohlgefährdung sensibilisiert bist.

© Mikhail Nilov / Pexels

Wie erkenne ich als Lehrkraft eine Kindeswohlgefährdung?

Es gibt verschiedene Anzeichen, die auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung hindeuten.

Körperliche Anzeichen

  • Spuren von Gewalt – z. B. blaue Flecke, Wunden und Narben
  • Mangelnde Hygiene und unzureichende Kleidung
  • Fehlende Verpflegung (Pausenbrote)

Anzeichen im Verhalten

  • Übermäßige Aggressivität, Ängstlichkeit oder Schreckhaftigkeit gegenüber anderen Kindern oder Lehrkräften
  • Häufige Missachtung von Regeln
  • Selbstverletzungen

Ein Problem besteht darin, dass einzelne Anzeichen nicht verallgemeinert werden können. Nur weil ein Kind sich häufig über Regeln hinwegsetzt, heißt das natürlich nicht, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Anzeichen müssen immer im Kontext betrachtet werden.

Bei vielen Lehrkräften ist die Angst vorhanden, betroffene Familien womöglich falschen Verdächtigungen auszusetzen. Dementsprechend ist die Hemmschwelle, aktiv zu werden, häufig sehr groß. Dennoch bist du verpflichtetet, jedem Verdacht nachzugehen. Wenn du das nicht tust, machst du dich als Lehrkraft unter Umständen strafbar. Wie du einen Verdacht auf Kindeswohlgewährdung richtig meldest, erfährst du jetzt.

Checkliste für Lehrkräfte – Kindeswohlgefährdung melden

Wenn der erste Verdacht von häuslicher Gewalt auftritt, dann führt dies zu vielen, teils verwirrenden Gefühlen. Meist ist die erste Reaktion Unsicherheit – man hat den Eindruck, den eigenen Gefühlen nicht trauen zu können.

Man stellt sich Fragen wie:

Sind die Anzeichen wirklich ausreichend für einen solchen Verdacht?

Kann ich meinem Bauchgefühl in so einem sensiblen Vorfall wirklich trauen?

oder

Übertreibt die Schülerin oder der Schüler mit seinen Schilderungen?”

Letztlich ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es in der Regel keinen Grund gibt, solche Vorfälle zu erfinden.

Das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen hat in einer Broschüre eine dreiteilige, vereinfachte Handlungsempfehlung Wahrnehmen – Warnen – Handeln herausgegeben, welche wir im Folgenden vorstellen:

1. Wahrnehmen

Damit ist gemeint, dass LehrerInnen gezielt auf solche Situationen hin geschult werden sollen. Verhaltensauffälligkeiten bei SchülerInnen sollten nie leichtfertig abgetan werden, sondern müssen in einem Gespräch geklärt werden.

Aggressives Verhalten bei Kindern deutet nicht selten auf Schwierigkeiten im elterlichen Umfeld hin.

  • Auffällige Verletzungen
  • Kratzer
  • Schürfwunden

sollten ebenfalls nicht einfach übersehen werden. Diese haben glücklicherweise meist nichts mit einer Gefährdung des Kindeswohl zu tun, können jedoch darauf hindeuten.

© Karolina Grabowska / Pexels

2. Informieren

Eine(n) AnsprechpartnerIn oder eine Institution zu kontaktieren, stellt den zweiten Schritt dar. Das kann zunächst einfach eine zweite Meinung sein, um die Situation möglichst objektiv einschätzen zu können, das sogenannte Vier-Augen-Prinzip. Eine Kooperation mit anderen PädagogInnen, der SchulpsychologIn, einer SozialarbeiterIn oder dem Jugendamt kann zu mehr Sicherheit führen.

Auch Ärzt:innen und die Polizei können im Notfall einen wichtigen Ansprechpartner darstellen. Innerhalb dieser Kooperation sollte die Dringlichkeit eines Eingreifens geklärt werden. Dabei steht natürlich stets das Kindeswohl vor einer pädagogisch fundierten und sauberen Klärung der Situation.

3. Handeln

Wenn sich abzeichnet, dass die bereits involvierten Personen und Institutionen nicht für die Sicherheit des Kindes Sorge tragen können, ist unverzüglich das Jugendamt oder die Polizei einzuschalten. In manchen Fällen lässt sich der familiäre Konflikt jedoch auch durch ein Gespräch mit den Erziehungsberechtigten klären. Liegt eindeutig eine Gefährdung des Kindeswohls vor, sollte das Jugendamt verständigt werden. Dieses ist der offizielle Ansprechpartner in solchen Situationen. Das für euren Landkreis zuständige Jugendamt findet ihr unter diesem Link.

Das Jugendamt kann auch eine Inobhutnahme einleiten, so beispielsweise wenn die Eltern aufgrund von psychischen Störungen oder Drogenabhängigkeit nicht mehr in der Lage sind, das Kind zu versorgen.

Natürlich bietet auch die Polizei eine wichtige Anlaufstelle. Diese leitet beim Verdacht der Kindeswohlgefährdung unmittelbar eine Strafverfolgung ein. In der Regel hat die Polizei eine konkrete AnsprechpartnerIn für Fälle häuslicher Gewalt gegen Kinder.

Kinder- und Jugendnotdienste wie beispielsweise der Berliner Notdienst Kinderschutz sind konkrete Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche. Dort gibt es die Möglichkeit einer konkreten Beratung und Betreuung. Im Notfall können Kinder und Jugendliche hier auch zeitweise übernachten.

Kinderschutzzentren bieten Beratung von Eltern, Verwandten und LehrerInnen betroffener Kinder an. Sie sind damit auch ein wichtiger Anlaufpunkt für Lehrkräfte, welche eine konkrete Gefahr für SchülerInnen befürchten.

Eine Illustration von einem Vater, der seine Faust ballt und droht seinen Sohn zu schlagen. Die Mutter steht hinter dem Kind und beschützt es.

© Gewalt-ist-nie-ok.de

Kindeswohlgefährdung: Wo kann ich mich noch informieren?

Für erste Informationen findest du auch im Internet viele hilfreiche Seiten, wie zum Beispiel den “Deutschen Kinderschutzbund”, “Eltern im Netz” oder “Gewalt ist nie ok”. Letztere bietet eine Website mit vielen Informationen für Kinder und Materialien für die Auseinandersetzung sowie Thematisierung von häuslicher Gewalt im Unterricht. Auch bei der Fachstelle Kinderschutz findest du viele Informationen.

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