Arthur Thömmes ist Lehrer und arbeitet als Fachleiter in der Lehrerausbildung. Als Autor zahlreicher pädagogischer Fachbücher und Praxishilfen hat er auch ein Mutmach-Buch für Referendare geschrieben. Wir haben uns mit ihm über Jammerpädagogik und die berühmt berüchtigten Showstunden unterhalten.

meinUnterricht: Das erklärte Ziel Ihres Mutmach-Buchs für Referendare ist mehr Gelassenheit im Schul- und Seminaralltag. Warum ausgerechnet Gelassenheit? Wie wichtig ist sie für Lehrkräfte und warum?

Arthur Thömmes: Das Mutmach-Buch ist kein didaktisches oder methodisches Fachbuch, sondern ein Lesebuch für Referendare. Die Texte, Karikaturen, Übungen, Arbeitsblätter und Erkenntnisse wollen zu einer gelassenen Haltung, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen. Sie wollen motivieren und die Freude an der Ausbildung zum Lehrer wecken.

Entscheidend für ein zufriedenes Lehrerdasein ist nicht nur fachliches Können. Wichtig ist ebenso eine gesunde Persönlichkeit mit einer widerstandsfähigen Konstitution.

Dabei ist es wichtig, die eigenen Grenzen und Bedürfnisse immer im Blick zu behalten, die Ruhe zu bewahren und sich nicht von den Miesmachern und Schwarzsehern anstecken zu lassen. Eine zufriedene und positive Grundhaltung sollte die eigenen Stärken sehen, aber auch die Grenzen akzeptieren. Besonders in Stresssituationen können Energiequellen genutzt werden. So ist es wichtig, sich gesund zu ernähren, auf ausreichend Schlaf zu achten und dem Körper Ruhe und Bewegung zu gönnen. Ich biete in unserem Studienseminar entsprechende Veranstaltungen an (z. B.: Achtsamkeitstraining, Kollegiale Fallberatungen).

meinUnterricht: Gab es für Sie auch persönliche Beweggründe, das Buch zu veröffentlichen. Hätten Sie selbst während Ihres Vorbereitungsdienstes ein Mutmach-Buch gebrauchen können?

Arthur Thömmes: Da ich selbst in meiner gesamten Zeit als Lehrer immer viel Freude am Unterrichten hatte, wollte ich diese Grundhaltung gerne an die Referendare weitergeben. Der Einstieg in den Lehrerberuf ist eine entscheidende Phase, in der das Fundament gelegt wird. Wer schon am Beginn der Ausbildung frustriert und gestresst ist, wird es schwer haben in seinem zukünftigen Lehreralltag. So wollte ich mit diesem Buch einen positiven und mutmachenden Akzent setzen.

Lehrer sollten vor allem in der Ausbildungsphase und im Berufseinstieg darauf achten, dass sie nicht angesteckt werden von der sich ausbreitenden Jammerpädagogik und Defizitorientierung. Die Freude am Beruf ist eine wichtige Grundlage nicht nur für ein gutes Schul- und Klassenklima, sondern auch für die eigene Berufs- und Lebenszufriedenheit. Denn: Zufriedene Lehrer haben meist auch zufriedene Schüler. Dabei geht es mir nicht darum, die zunehmenden Belastungen im Schulalltag kleinzureden. Es geht vielmehr darum, dass die angehenden Lehrer ein eigenes Profil entwickeln, um in einem gesunden Gleichgewicht zu (über)leben und zu arbeiten.

meinUnterricht: Neben all den negativen Berichten im Internet, auf die Sie ja auch in der Einleitung zum Buch anspielen, hören wir auch immer wieder Stimmen, die sagen “Macht euch nicht so verrückt, alles halb so schlimm.” Ist das Ref besser als sein Ruf?

Arthur Thömmes: Die Anforderungen im Referendariat sind hoch. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: die Schulform, das Bundesland, das Seminar, die Schule und vor allem die Menschen, die als Ausbilder den angehenden Lehrer begleiten. Hilfreich sind körperliche und psychische Belastbarkeit, eine fundierte fachliche Grundlage sowie die Bereitschaft, einen spannenden und kreativen Unterricht und ein eigenes Lehrerprofil zu entwickeln. Ein guter Lehrer sollte sein Fach lieben und auch einen Zugang zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen haben – Lehrer unterrichten vor allem Schüler, und nicht nur ein Fach. Lernen gelingt besser, wenn es von vertrauten Beziehungen getragen wird. Gut geplante Unterrichtskonzepte mit spannenden Lernarrangements und kreativen Methoden können nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn eine angenehme und motivierte Lernatmosphäre herrscht. Somit sollte die Beziehungsarbeit ein wichtiger Aspekt im Laufe der Ausbildung sein, denn Erziehung braucht vor allem Beziehung. Dieser Ansatz wird auch in manchen Studienseminaren konsequent umgesetzt.

meinUnterricht: Was ist die beste Vorbereitung auf das Referendariat? Was sollte man in den letzten Wochen vor Beginn unbedingt erledigen?

Arthur Thömmes: Ganz falsch wäre es, das Internet nach Schreckensnachrichten zu durchstöbern und mit Angst und Sorgen das Referendariat zu beginnen. Mit dem Referendariat beginnt ein ganz neuer Abschnitt in der Ausbildung zum Lehrer. War die erste Ausbildungsphase geprägt von wissenschaftlichen Grundlagen, geht es im Referendariat vor allem um den Unterricht, also die Praxis, in die man bisher nur hineinschnuppern durfte. Ich halte es daher für ganz wichtig, vor Beginn des Referendariats das Studium auch innerlich abzuschließen, eine Phase der Ruhe und Entspannung einzulegen und dann bereit und offen die praktische und theoriegeleitete Ausbildung zu beginnen.

meinUnterricht: Wer oder was ist eigentlich für die Existenz der sogenannten Zirkus- oder auch Show-Stunden verantwortlich: Referendare, die sich gegenseitig verrückt machen oder die Erwartungen der Fachleiter? Was macht für Sie persönlich eine gute Lehrprobe bzw. Unterrichtsstunde aus?

Arthur Thömmes: Ein Lehrer sollte sein Handwerk beherrschen. Und das ist vor allem ein sehr persönlicher Weg, denn den genormten Lehrer gibt es zum Glück nicht. So mag ich auch keine inszenierten Showstunden. Sie sollen möglichst perfekt sein und sind somit nicht immer authentisch. Diese werden maßgeschneidert für den Fachleiter geplant und abgearbeitet. Ich bin ein Freund des experimentierenden Lernens, denn der Weg zum professionellen Lehrerhandeln führt über das alte Prinzip von Versuch und Irrtum. Als Fachleiter will ich nicht nur erleben, was der Auszubildende gut kann, sondern an welchen Baustellen er arbeitet und wie er im Unterricht experimentiert. Ich will erfahren, wie er zunehmend sicherer wird und motiviert gemeinsam mit den Schülern den Unterricht gestaltet.

An diesem Punkt setzt auch eine gute Beratung an. Dabei sollte nicht die Defizitorientierung im Mittelpunkt stehen, sondern die Beachtung und Förderung der Potenziale und Ressourcen. Auch im Lehrerberuf fördern Erfolgserlebnisse das Selbstbewusstsein und motivieren zu weiterem Engagement. Frust und mangelnde Wertschätzung führen eher zur Demotivation und erzeugen Stress.

meinUnterricht: Wenn Sie eine Sache am Referendariat ändern könnten, was wäre das?

Arthur Thömmes: Der Aufbau des Mutmach-Buches orientiert sich an einem Modell einer ganzheitlichen Ausbildung, das sich anlehnt an die Grundidee der Themenzentrierten Interaktion (TZI). Dabei geht es darum, die drei Faktoren ICH, WIR und ES in ein Gleichgewicht zu bringen. Ich würde dieses Modell gerne auf die Lehrerausbildung übertragen. Ziel wäre es, eine Balance und damit eine gesunde Berufs- und Lebensgestaltung zu erreichen.

Die Grundidee ist ein ganzheitliches Lernen, Leben und Arbeiten in den unterschiedlichen Lebens- und Berufsfeldern. Alle an der Ausbildung Beteiligten sollten darauf achten, dass ein gesundes Gleichgewicht erhalten bleibt. Letztlich geht es um Lehrergesundheit. Im Buch finden sich in einem eigenen Kapitel (Balance) Anregungen dazu (Lehrergesundheit, Entspannung, Burnout, Stress, Stimmbildung, Selbstbewusstsein, Kollegiale Fallberatung, Supervision, Macht und Ohnmacht, Mutmacher). Gerade in der Lehrerausbildung werden viele Grundlagen für ein kompetentes und zufriedenes Berufsleben gelegt. Meine Vision ist eine Lehrerausbildung, die neben den fachlichen Kompetenzen auch die menschliche Perspektive immer im Blick hat. Wir brauchen neben fachlich kompetenten Lehrern mit pädagogisch-didaktischem Geschick vor allem selbstbewusste Persönlichkeiten mit menschlicher Ausstrahlung.

meinUnterricht: Immer mehr Universitäten und Hochschulen führen immer früher begleitende Praxissemester für Lehramtsstudenten ein – auch um die Studierenden besser auf das Referendariat und die spätere Unterrichtspraxis vorzubereiten. Aber auch das Referendariat wird von vielen noch als praxisfern und wirklichkeitsfremd empfunden. Braucht der Vorbereitungsdienst ebenfalls mehr oder einen anderen Praxisbezug?

Arthur Thömmes: Gute Pädagogen müssen nicht nur etwas wissen, sondern vor allem etwas können. Und dabei sollten Wissen und Können in Balance gebracht werden. Da es im Referendariat vor allem darum geht, das Handwerk des Unterrichtens zu erlernen, sollte dies auch der Schwerpunkt sein. Die im Studium erworbenen fachlichen, pädagogischen und didaktischen Kenntnisse werden mit der Unterrichtspraxis verknüpft. Doch leider ist die Lehrerausbildung von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Entsprechend kann die Ausbildung verschult und theorielastig oder aber modularisiert mit einem starken Praxisanteil ausfallen. Für eine qualitativ hochwertige Lehrerausbildung wäre eine Überwindung des Bildungsföderalismus sinnvoll. Denn wir brauchen gute und zufriedene Lehrer, die nach einem durchdachten Konzept fachlich fundiert und vor allem praxisnah ausgebildet werden.


Mutmach-Buch für Referendare

Arthur Thömmes’ „Mutmach-Buch für Referendare“ ist im Auer-Verlag erschienen. Wir können außerdem noch sein „Mutmach-Buch für Lehrerinnen und Lehrer“ empfehlen sowie seine Kolumnen auf forrefs.de.

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